Annette Schavan fordert Europa mit Vielfalt und Toleranz
16.11.2019 | Kirche und Europa verlieren Selbstbewusstsein
– Annette Schavan, Vorsitzende des Kuratoriums der Europäischen Stiftung Aachener Dom, hat die Bürger in Europa aufgefordert, „den mentalen Krisenmodus zu verlassen“. In einem Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe „DomGedanken“ sagte die ehemalige Bildungsministerin am Samstag, dem 16. November 2019, in der Aachener Domsingschule, die aktuellen Probleme Europas seien lösbar und sie seien im Vergleich zu früheren Kriegen, Terror und Gewalt klein.
Europas Stärke sei heute die Vielfalt an Religion, Kultur, politischen Vorstellungen und wirtschaftlichem Handeln. Mit dem Fall der Mauer und dem „eisernen Vorhang“ habe die Uniformität kommunistischer Herrschaft geendet. „Die Europäische Union darf nicht mit Gleichschaltung verwechselt werden,“ so Schavan. Die Beziehungen zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Union und Brüssel gelingen nur, wenn mit der Vielfalt sensibel umgegangen wird.
„Die junge Erasmus Generation hat von Europa besonders profitiert und erlebt die Vielfalt in Krakau, Prag und Budapest ebenso wie in Paris, Stockholm und Berlin. Sie lieben das kulturell vielfältige Europa und sie leben es ganz selbstverständlich. Sie sind vielsprachig wie keine Generation zuvor. Sie tragen in sich das Potential für eine gute Zukunft in Europa.“
Die nationalistischen Tendenzen sind für die ehemalige Botschafterin Deutschlands beim Heiligen Stuhl (Vatikan) eine große Enttäuschung, jede Freiheit und Vielfalt müsse immer wieder neu beworben werden, „besonders in einer Welt, die von vielen Bürgern als kompliziert, undurchschaubar und anstrengend empfunden wird, so die Einschätzung Schavans.
Wesentlich sei nun, sich der geistlichen Quellen Europas zu vergewissern, seiner religiösen und kulturellen Wurzeln. Ohne eine Spiritualität und gemeinsame Seele, nur mit politischem Geschick oder wirtschaftlichem Sachverstand sei Europa zum Scheitern verurteilt, so Schavan. Sie appellierte, die EU nicht auf eine Wirtschaftsgemeinschaft zu reduzieren und für die Seele Europas soviel Engagement aufzubringen wie für den gemeinsamen Markt.
Europa verliere derzeit sein Selbstbewusstsein. „Das ist ein Grund für die Neigung mancher Staaten, auf nationale Abschottung zu setzen und auch für die Erwartung in den Zivilgesellschaften an die Politik, sie möge die Not der Welt weit vom Kontinent fern halten. Es sind Haltungen aus Schwäche, die langfristig weder haltbar noch stärkend auf Europa wirken.“
Das Christentum, so die katholische Theologin und Erziehungswissenschaftlerin, könne dazu beitragen, den mentalen Krisenmodus zu verlassen. Die großen christlichen Orden haben mit ihren geistlichen Traditionen ihre Spuren in Europa hinterlassen, die bis heute spürbar sind, wenn wir durch Europa reisen. Heute sei die Kirche der Versuchung ausgesetzt, sich zu sehr abzuschotten, so die Wahrnehmung Schavans: „Sie hat Angst. Das ist eine üble Versuchung, das ist nicht gut. Die Kirche sollte sich weniger mit sich und ihren Ängsten beschäftigen und neugieriger werden auf das Leben von Menschen. Sie droht in eine Verfassung zu geraten, in der sie nicht mehr relevant für dieses Leben ist“, befürchtet die Politikerin.
Nach dem Vortrag präsentierten Berthold Botzet (Klavier), Judith Hilgers (Sopran) und Norbert Vohn (Trompete) Werke von Georg Friedrich Händel, Henry Purcell und Antonio Corelli.
Veranstaltet wird die Vortragsreihe „DomGedanken“ von der Europäischen Stiftung Aachener Dom gemeinsam mit dem Aachener Domkapitel.
download des Vortrags von Annette Schavan